Idiolab
Das kartesianische Koordinatensystem unserer Wirklichkeit verschwindet wie ein Pixelschweif im digitalen Nachthimmel. „Scheiße, der/die war doch ganz nett!“, sind unsere vielleicht letzten Worte bei dem Versuch, das Weggeswipte zurückzuholen. Der Versuch misslingt. Die Wirklichkeit will sich nicht mehr an das anpassen, was das Bücherwissen seit Jahrhunderten angehäuft hat. Wir können dem Verlust der Moderne hinterhertrauern und ein Gesicht wie Hundewelpen ziehen. Hundewelpen aber generieren Klicks. Und damit sind wir mitten in der Selbsttransformation der leidigen Jetztwelt. Ein Rückzug in die Bibliotheken bringt in Zeiten des artifiziellen Abgesangs des europäischen Humanismus immer weniger. Also lassen wir Texte und Bilder tanzen, mit ihnen Schauspieler:innen und installieren Lichterketten am Ende des Tunnels.
In einem eigenen Produktionsstudio im Rangfoyer vor dem Grünen Salon kreiert das IDIOLAB in der Spielzeit 25/26 Texte, Filme und Inszenierungen. Die Mischform aus dramaturgischer Reflexion und künstlerischer Produktion versteht sich sowohl als Diagnose, als auch als Strategie der Selbsttransformation, um überhaupt über den allmächtigen „Idiotismus des Bürgertums“ (Marx) etwas auszusagen oder darin gehört und gesehen werden zu können. Denn unter der Maske der Idioteninstallation, wie sie einst die Dadaisten in der Nachfolge Pere Ubus forderten, steckt zuletzt auch eine Dialektik des „allerneuesten Menschen“ – als Idiotypus der vielen Einzelnen und der einzelnen Vielen. Wer sind wir, und was werden wir sein? Sind wir am Ende nicht die Swiper, sondern die Weggeswipten? … Derlei zu thematisieren bleibt und ist die Aufgabe des Idiolabs.
IDIOLAB MANIFEST
Die Fortsetzung des globalen Hallodritums mit künstlerischen Mitteln
I CLICK YOU
Wir schreiben das Jetzt, nicht das Gestern oder Morgen. Trump & Co haben die Welt-Intendanz gekapert. Als Pere Ubus der Jetztzeit hebeln sie Normen aus, feiern das Absurde und predigen das Widersprüchliche. Ihr Bullshit hat sich zum Altar aufgetürmt. Polittrolls schweben wie Götter über Algorithmen, stupsen uns an. Manchmal auch einen ganzen Kontinent. Mit dem Like-Daumen hoch oder runter und in Clips und Memes auf und ab bestätigen wir ihre Macht und bewundern oder verachten sie, was in der Klickökonomie gleichbedeutend ist.
DER COUP
Schluss damit! Denn diese Silikongötter und Trolls haben ihre Methoden von uns Künstler:innen geklaut. Die radikale Erkundung des Selbstantriebs war und ist unsere großartige Leistung – vielleicht die Einzige, wenn wir ehrlich sind. Wir haben die ästhetische Egomanie so narzisstisch verbogen, dass sie sich in der Moderne zum schönsten Idiotismus krümmte. Erinnert euch: „Was uns fehlt, was uns interessiert, was selten ist, weil er die Anomalien des kostbaren Wesens, die Frische und Freiheit der großen Antimenschen hat, ist | DER IDIOT“, schrieb Tristan Tzara 1921. Es ging den Dadaisten in der Nachfolge Ubus um die Wiedergeburt des Idioten aus dem Geist einer inkohärenten Gesellschaft. Deswegen schrieb Georges Bataille 1936 in der ersten Ausgabe des Acéphale-Magazins: „Die Zeit der Vernunft und Kultur ist vorbei“. Kopflosigkeit als Programm, angesichts einer kopflosen Politik.
WIDER DEN KUNSTANSTAND
Doch der erhabene Idiotismus der Künste wurde von den heutigen Polit-Hasardeuren der Gegenwart angeeignet und verunstaltet. Wir Künstler:innen dagegen wurden anständig und verzogen uns in die künstlerische Forschung, ins politische Organisieren, in die ökologische Gerechtigkeit – wichtige, gute, gemeinnützige Dinge also, von denen wir nicht den blassesten Schimmer haben. Nehmen wir Guy Debord, den Situationisten. Worum ging es ihm Ende der 1950er? Ums Randalieren und Saufen. Was danach kommt, ist das mehr als eine Fußnote?
STATT UNTERWANDERN: UNTERBIETEN
Da wir Künstler:innen also das Copyright am Idiotismus halten – und NICHT die Trumps, Modis, Putins, Erdoğans und andere politischen XXLs dieser Welt –, tritt das Idiolab gegen diese Idio-Politik an, ohne sich dem Rationalismus als liberalem Weltaufklärungsversprechen anzubiedern. Wer hier Clown und was Derp Face ist, das bestimmen wir!
Denn aus Sicht des IDIOLAB fühlt sich die Austreibung aus dem Kunstparadies eklig an. Wollen wir wirklich so weitermachen, als ob die Schüssel und nicht der Sprung in der Schüssel der Maßstab aller Dinge sei? Wo sind denn die Useless Idiots™ in der schönen grünen neuen Welt? Ein wissenschaftliches Leben kann nicht gelebt werden, und doch versuchen alle, die Optimierungsmaschine auf Hochtouren laufen zu lassen – von YouTube-Workouts bis zu Productivity-Hacks. Insofern passt die Wahrscheinlichkeitswolke AI perfekt in die wahrscheinlichste aller Welten. Alles ist prozessual, prozentual, relational.
ORGAN GROOMING
Das IDIOLAB will an dem weltgeschichtlichen Verzweigungspunkt – der stets gerade jetzt ist – das Selbstverständnis des Gedankens in der Jetztzeit und ihre Kollateral-Imaginationen zur Darstellung bringen, dem Theatergeschehen ein neues multiples Organ angedeihen lassen, in Anlehnung an die Milz, dem „Allrounder unter den Organen“ (chatGPT). Dieser Organwunsch ist und bleibt auch der Grundauftrag allen Theatergeschehens, und kein Neoliberalismus, kein Karrierismus, kein Trendsetting, kein knappes Budget kann daran rütteln, solange der Begriff Theater etwas bedeuten soll. Man kann einem Frosch das Quaken wegoperieren und weiterhin behaupten, er sei ein Frosch. Das ist korrekt, aber wenn korrekt zu sein das einzige ist, was man ist, dann ist das nicht genug. 90% Theater ist kein Theater mehr. Das IDIOLAB hat hier, gleich den Zuflüsterern der römischen Imperatoren, die Funktion, immer wieder daran zu erinnern, was 100% bedeutet, was Sache ist und was nicht Sache ist. Wir sehen das IDIOLAB als Autoimmunreaktion, als Plastizität des Körpers im Kulturgeschehen.
AUFHEBUNG ALLER APPS
Die gegenwärtigen Krisen in Ost und West stecken in den Zeitfundamenten des Denkens, ihnen liegt die kolossale Herausforderung des Nihilismus zugrunde, der das spätkapitalistische Zeitalter wie ein treues Hündchen begleitet. Wenn in der Moderne Sinn durch Wert ausgetauscht wurde und Wert von der politischen Ökonomie bestimmt ist, reicht die Erfindungsgabe emanzipatorischen Denkens nur bis zum nächsten Update der Utopie-App. Der theatrale Organismus darf sich nicht von Apps abhängig machen, welche die dystopische Gegenwart speisen, und muss selbst tätig werden, um zu überleben.
MIND HUNTING
Das IDIOLAB will zuletzt auch die Interessenvertreterin der Idiot:innen aller Länder sein, will Kunstflüchtenden, die aus Nation, Moral und Szientismus ausgesondert wurden, Unterschlupf gewähren und mit ihnen die Farce-Seite der weltgeschichtlichen Medaille polieren. Anders als der Film Idiocracy betreiben wir keine Dummheitskritik: idios ist das Eigene, nicht das Dumme; Idiokratie ist Herrschaft des Selbst. Vielmehr gehen wir von dem aus, was Deleuze als den Neuen Idioten bezeichnet, eine Begriffsfigur des Zeitalters, die das Absurde will und dafür das Wahre, Schöne und Gute auf dem YouTube-Altar opfert. Weil das Absurde das Wirkliche ist und das Wirkliche das Absurde. Weil Flat-Earther und nicht Round-Earther heute den Maßstab für Performanz setzen. Weil man Troll und Ideologe in einem sein kann und sich dadurch unangreifbar macht. Weil die Online-Meuten den Kampf Aller gegen Alle ausrufen.
„Was tun?“ fragt ihr. — Alles!
TLDNR:
Wir wollen die Rückeroberung der Welt-Intendanz. Wollt mit!
- 20:00Roter Salon
IDIOLAB#1 Lösung aller Weltprobleme in zehn Minuten
Performance, Talk, Video