Zur Lage der Nation – Vorglühen mit Heiner Müller am Vorabend der Katastrophe
Vor 30 Jahren ist Heiner Müller, der wichtigste Nachkriegsdramatiker, gestorben. „Ich werde wiederkommen außer mir!“, schrieb er knapp zwei Monate vor seinem Tod. Die Volksbühne nimmt ihn beim Wort und bereitet in der Silvesternacht die Wiederkunft vor. Und öffnet den Roten Salon, um seinen Geist ‒ das deutscheste aller Organe ‒ mit einer Lesemesse und reichlich Hochprozentigem zu beschwören.
Denn der Geist und die Weitsicht Müllers, fehlen heute. Bereits mit dem Ende des Kalten Krieges, das angeblich mit dem Ende der Geschichte zusammenfallen sollte, sah Müller die „Bahn der Beschleunigung, die in der Vernichtung endet“, betreten. Die Zukunft, von der Müller damals sprach, ist unsere Gegenwart. Eine Gegenwart der multiplen Krisen, in der die Katastrophe greifbar ist, der wir wahlweise quasselnd oder sprachlos beiwohnen oder eben, wie es Müller sagen würde, gefangen in „programmierten Sinnschleifen“.
In dem zeitgeschichtlichen Umbruch 1989 und 1990 führte der Dramaturg und Publizist Frank Raddatz mit dem Dramatiker Gespräche: über den Rückflug des Kapitalismus, über die Zukunft Europas, über das Klima (Ozonloch), die Weltrevolution und über das Szenario einer möglichen Auslöschung der Menschen. Aus heutiger Sicht wirken die Texte prophetisch.
Im Roten Salon dienen sie als Medium, um uns selbst wieder ins Sprechen zu bringen; mit dem Toten Heiner Müller. Und all den Toten, von deren Erfahrungen wir lernen sollten, wenn die Gespenster der Vergangenheit in unsere Gegenwart drücken. Und wir uns mit ihnen über unsere Lage verständigen können. In wen oder was wird der Geist von Heiner Müller fahren?
Die Spielregeln dieser Silvester-Beschwörung sind denkbar einfach: Der Eintritt ist frei. Stattdessen müssen Getränke mitgebracht und geteilt werden; vorzugsweise Whisky, auch Wein wird akzeptiert. Jede und jeder der mag, kann an der Lesung (aus Zur Lage der Nation und Jenseits der Nation; Gespräche von Frank Raddatz mit Heiner Müller) teilnehmen und ans Mikrofon treten. Maximal 15 Minuten. Wer sich darüber hinaus zu einem eigenen und originären Beitrag berufen fühlt, kann der Berufung nach Absprache nachgehen. Zwischen den Lesungen und Mikro-Aufritten gibt es Musik und Raum zum Prosten und Sprechen. Wir bitten zudem darum, am 31.12. auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Gedenken an Heiner Müller eine Rakete zu zünden und einen Knaller zu werfen. Je lauter es kracht, desto besser.
Ein Abend für alle, die ohnehin das ganze Jahr über trinken und die gerade für Silvester einen besonderen Grund dafür brauchen. (Frei nach Müller: „Ich bin kein Philosoph, der zum Denken keinen Grund braucht.“) Und die sich für ihren Kater mit Heiner Müller rausreden können. Denn der „Weg ist nicht zu Ende, wenn das Ziel explodiert.“