Irgendetwas ist passiert

Von Fabian Hinrichs, Anne Hinrichs

Paul:
Kommst du? Bin unten. (Lange Pause, nichts passiert, keine Antwort. Stille. Paul rennt aus dem Haus auf die Straße, joggt los – Bühne dreht sich – und trifft auf Claudia, die gerade vom Joggen zurückkommt.) Ich finde es unmöglich, dass du einfach weggelaufen bist! Ich warte hier unten seit 30 Minuten. Das hatte ich dir auch gesagt. Du bist ja quasi vorbei geschlichen. Ich finde dein Verhalten unmöglich. Dass du so was immer konstruierst. Schade. DU zerstörst die Nähe nämlich immer. Das bist DU. Langsam versteh ich das immer mehr. Es tut weh. (Pause) Ich laufe ja jetzt erst los. Bitte lass mich dann morgen ausschlafen.

Claudia:
Du bist so krank. Mir auf der Straße Fick dich zu sagen. Merkst du noch was? Ich lass dich bald einliefern. Fick dich selbst, du mich täglich kränkendes Arschloch.

Paul:
Was? Es fühlt sich einfach komisch an, 20 Minuten in Joggingsachen zu warten und dann durch die leere, dunkle Wohnung zu gehen und du bist nicht da. Ich habe dich auch nicht die Treppe runtergehen hören. Dass ich impulsiv Leck mich gesagt habe, tut mir leid. Dass ich am Sonntag eifersüchtig war, auch. Andererseits ist das schon mal ok, finde ich. Du warst das sehr oft, auch wenn du das nie sagst. Verstehst du nicht, wie es sich anfühlt, allein gelassen zu werden? Nicht mal zurückzulaufen? Ich habe noch NIE nicht gewartet. Ich warte immer auf dich. Ich kann dir auch nur sagen, dass ich meinen Geburtstag mit Dir feiern will. Ich verstehe das alles nicht. Ich verstehe das nicht.

Claudia:
Du hast Fick dich gesagt, nicht Leck mich! Aus dem Nichts heraus, brutal wie du bist. Deine Wut ist grenzenlos. Unvorhersehbar. Ich habe so viele Verletzungen durch dich erlitten. So viel Wut, jeden Tag. Ich habe einfach nur Angst vorm nächsten Mal. Ich fühle mich in meinem eigenen Zuhause nicht wohl, weil du da bist und ich nie wissen kann, wann du das nächste Mal in deinen Zustand kommst. All das ist 1000 mal gesagt. Ich habe mich 1000 mal wieder eingelassen auf dich. Sexuell kann ich das nicht mehr. Dazu ist zu viel kaputt gegangen. Erzähl mir jetzt auf keinen Fall, wie DU dich fühlst, denn ich bin so zerstört in Bezug auf uns, dass ich keine Kapazitäten für dich dich dich und nochmals dich habe.
(Stille)
Ich möchte ein eigenes Zimmer in der Wohnung.
Mit einem richtigen Bett.

Paul:
Ich weiß nicht, wie oft du Fick dich zu mir gesagt hast. Du bist wahrscheinlich eine Million mal weggefahren, weggegangen, weggelaufen. Konkret, aber auch bildlich gesprochen. Ich bin dir immer hinterhergelaufen. Ich habe mich immer entschuldigt. Wie oft musstest du meine Welt abtun. Aber diese affigen Musiker. Die sind natürlich richtig toll. Und gar nicht beknackt. Ich finde es unverantwortlich und destruktiv, meinen Geburtstag abzusagen. Ich werde dann alleine wegfahren. Es tut so weh. Am liebsten würde ich sterben.

Claudia:
Du hast meinen Haustürschlüssel genommen. Ich habe jetzt keinen mehr, weil du deinen wieder mal verloren hast. Leg ihn mir dann in den roten Eimer unterm Balkon!

Paul:
Nein. Dein Hausschlüssel liegt bei deinen Sachen, bis eben. Ich habe meinen.

Claudia:
Nein, er lag noch in meiner Joggingtasche. Das ist mein Schlüssel.

Paul (zeigt einen Schlüsselbund):
Das ist MEIN Schlüssel. Ich muss nachdenken. Ich bin so traurig.

Claudia:
In meiner schwarzen Joggingtasche in der weißen Schublade im Flurschrank liegt immer mein Schlüssel. Du hast ihn dir also NICHT genommen?

Paul:
Ich verstehe dich nicht.
Nein. Habe ich NICHT NICHT NICHT NICHT NICHT.
Weißt du, ich finde es gut, wenn du vielleicht mit einem Musiker oder Arzt zusammenkommst. Ich bin Abfall. Krank. Zerstörerisch. Und einfach Müll. Deswegen finde ich es gut, wenn du dir jemanden Gesunden suchst, nachdem ich die ganze Scheiße bezahlt habe. Ich bin am Ende. Das war’s für mich. Mach’s gut. Ich will nicht mehr leben. Ich kann nicht mehr leben. Ich schaff es nicht weiter. Such dir einen gesunden Mann.

Claudia:
Und ich kann dich nicht weiter aushalten. Ich gehe vor die Hunde.

Paul:
Ja.

Claudia:
Ich bin nicht arbeitsfähig. Mir laufen die Tränen runter.

Paul:
Mir auch!

Claudia:
Du wirst nie verstehen, was du mir angetan hast. So wie dein Bruder. So wie dein Vater. Ihr kapiert es nicht.

Paul:
Ich bin nicht wie mein Bruder.

Claudia:
Und ihr könnt euch deshalb auch nicht entschuldigen für die Verletzungen, die ihr Menschen zufügt.

Paul:
Ich bin nicht wie mein Vater.

Claudia:
Das ist für mich das Schlimmste.

Paul:
Ich habe mich entschuldigt. Und erklärt. Ich habe alles getan.

Claudia:
Seitdem du dich nicht mehr entschuldigst, ist es für mich innerlich aus. Und jetzt zerstöre ICH. Jetzt breche ICH ab. Jetzt lasse ICH dich hängen. Jetzt scheiße ICH auf dich. Jetzt schreie ich all die Verletzungen in dich zurück. Da, wo sie hingehören. Oder ist das nur dir erlaubt? Ich werde alle Verletzungen, die du mir angetan hast, am Sonntag, eben auf der Straße und IN ALL DEN JAHREN, die du nur fetzenweise erinnern wirst, in dich zurückkotzen. Und du wirst es aufnehmen. Und mich NIE WIEDER beleidigen.

Paul:
Ich habe mich entschuldigt. Ich war eifersüchtig. Ich war sauer, weil du mit mir nie was trinkst. Ich habe mich entschuldigt!

Claudia:
Ist mir scheißegal.

Paul:
Ich weiß nich. Ich weiß nicht, was los ist.

Claudia:
Ist doch dein Problem.

Paul:
Ich habe Fick dich gesagt, weil ich 30 Minuten gewartet habe. Und weil ich annehmen musste, dass du, wie 1000 mal zuvor, einfach weggelaufen bist.

Claudia:
Na dann. Für mich geht es so nicht.

Paul:
Dann trenn dich. Dann geh.

Claudia:
Ich trenne mich nicht. Ich werde mein eigenes Zimmer einrichten.

Paul:
Das akzeptiere ich nicht.

Claudia:
Ich bleibe.
Ich bleibe.
Ich bleibe.
Aber in meinem Zimmer. Trenn du dich doch. Du bist ein freier Mensch.

Paul:
Du weißt, dass ich abhängig bin.

Claudia:
Wir können auch ein gemeinsames Modell finden. Ich will keinen Krieg. Ich will NIE WIEDER direkt oder indirekt von dir beleidigt werden oder Angst haben dir zu sagen, dass du meine Kleidung kaputt gewaschen hast. Oder dass ich jemanden nett finde, den du dann durch den Dreck ziehst.

Paul:
Ich finde ihn halt auch Scheiße von außen. Ich finde diese Musikleute eben Kacke.

Claudia:
Ich muss jetzt arbeiten. Meine ganze schöne Zeit habe ich wieder mit diesem Wahnsinn verschwendet. Und mit Sven: Ich hatte dich gar nicht danach gefragt. Denn du hast es mir ja schon 1000 mal gesagt.

Paul: Ja, du mir auch so viel. (Stille)
Ich bin echt am Boden. Ich kann nicht mehr aufstehen. (Stille) Lass uns doch einfach zusammen sein. Ich sperre mich nicht gegen einen Raum. Ich sperre mich gegen gar nichts. Du kannst auch Männer treffen, wenn du das willst. Ich habe einfach zwei Fragen: 1. Soll ich das Hotel absagen? 2. Wollen wir Nachrichten schauen und ich massiere Dich?

MUSIK

Claudia und Paul schauen Nachrichten. Man sieht zerstörte Hochhäuser in Kiew. Man sieht drei israelische Soldaten und zwei militante unbewaffnete Palästinenser, die mit erhobenen Händen unter einem Garagentor hervorkommen. Die Soldaten erschießen sie. Es folgt „Maischberger“. Theo Koll spricht bei Maischberger über Nebelkommunikation.
Nebel auf der Bühne. Irgendwann hört man nur noch Stimmen, im Nebel Nachrichten, Dialoge, Schreie, Musik. Der Nachbar hinter einer Wand sieht Trump und AfD-Dokumentationen, Claudia und Paul hören es leise. Wollen es nicht hören.
Nacht. Nur die City-Wall leuchtet draußen auf der Straße.

Konzept, Text & Regie
Kostüme
Künstlerische Assistenz
Januar
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