Von Mainz bis an die Memel
Falsche Menschen am falschen Ort. Keine Bange, hier geht es ausnahmsweise nicht um CIS-Männer auf deutschen Intendantenstühlen. Nein, „Falsche Menschen, am falschen Ort“ ist vielmehr der Titel, unter dem Jürgen Kuttner am 28. Februar um 20 Uhr zu einem unterhaltsamen Ausflug in die untergegangene Welt des terrestrischen Fernsehens lädt. In eine Zeit also, als das Medium noch satisfaktionsfähig war und sich nicht davor scheute, Kryptisches von kreuz- und querdenkenden Köpfen zur besten Sendezeit in die Wohnstuben tragen zu lassen. Wir treffen teutonische Lichtgestalten wie Gottfried Benn im Sender Freies Berlin und sehen den jungen Dieter Bohlen im DDR-TV beim Ranwanzen an die spätsowjetische Politiknomenklatura zu oder leeren mit der großen Alexandra Whiskygläser in kleinen, vollgequalmten Fernsehstudios. Ein Abend, der schnell als rückwärtsgewandt abgestempelt werden würde, stünde nicht mit Jürgen Kuttner ein Mann auf der Bühne, der uns immer wieder beweist, dass die Wahrheit gemeinhin nicht nur an einem Ort, sondern auch in einer anderen Zeit gefunden wird, als da wo man sie braucht.
Diese Show läuft seit 1996 in immer derselben Besetzung. Ein Mann, ein Mikrophon, eine Leinwand – mehr nicht. Und doch ist sie jedes Mal neu. Kein Abend gleicht dem anderen, jeder steht für sich allein. Doch was verbirgt sich hinter der bescheiden „Videoschnipselvortrag“ betitelten Bühnendarbietung?
An dieser Stelle könnte man die FAZ zitieren, die launisch bemerkt: Kuttner beweist mit jedem Auftritt, dass man berlinernd zehnmal schneller denken und sprechen kann als nicht berlinernd. Es ginge natürlich auch die Berliner Zeitung, die von Abenden berichtet, an denen mit großer Verlässlichkeit verwirrende und erhellende Assoziationsketten ausgelöst werden. Oder den Tagesspiegel, der Jürgen Kuttner als einen der letzten Radikalaufklärer der Gegenwart nennt.
Man kann es aber auch lassen und ganz nüchtern anmerken, dass der promovierte Kulturwissenschaftler Jürgen Kuttner in seinen Videoschnipselvorträgen unter Zuhilfenahme einiger gut abgehangener Fernsehausschnitte brandaktuelle gesellschaftliche Zustandsbeschreibungen abliefert. Was jetzt wiederum etwas betulich klingt und unterschlägt, dass diese Abende bei den meisten Zuschauer:innen nicht nur die politisch-moralischen Grundfesten, sondern auch das Zwerchfell schwerstens erschüttern.
- 01:00Große Bühne
CLXIII
Ein Videoschnipselvortrag von Kuttner