Foto © Bahar Kaygusuz

UNTER UNS von Geistern, Dschinns und Monstern

„Djinns promised real / by the Qur’an / have become B-movie tropes now“, heißt es in einem Gedicht von Khashayar Mohammadi. Dem entspricht, dass die meisten Menschen in Deutschland bei Dschinns vermutlich zunächst an den Flaschengeist aus Disneys Aladdin denken oder die Bezaubernde Jeannie – verniedlichte, verwestlichte und vor allem vereindeutigte Versionen dessen, was sich in der islamischen Tradition gerade durch seine Uneindeutigkeit auszeichnet.

Nach islamischer Lehre schuf Gott die Engel aus Licht, die Menschen aus Lehm und die Dschinns aus rauchlosem Feuer. Sie sind weder Engel noch Teufel, sondern Zwischenwesen. Mit den Engeln teilen sie die feinstofflichere Natur, mit den Menschen den freien Willen. Ihnen steht es frei, sich für das Gute oder Böse zu entscheiden. Manche sind gläubig, andere nicht. Dem menschlichen Auge meist verborgen, treten sie in zahllosen Formen auf, menschenähnlichen und nichtmenschlichen, männlichen und weiblichen. Sie können helfen oder schaden, begehren und verführen. Es wird berichtet von Ehen, die zwischen Dschinns und Menschen geschlossen wurden. Es wird berichtet von ganzen Dschinn-Königreichen, die am Grund der Ozeane liegen. Es wird berichtet von Dschinns, die nachts in die Seele eines Menschen fahren und ihn nie wieder loslassen. Ihr Zuhause ist die Nacht, die Wüste, der Wald, Ruinen und Höhlen, Orte also, an denen Menschen besser nichts zu suchen haben.

Vielleicht ist der Glutwind, aus dem die Dschinns geschaffen wurden, nichts anderes als die Substanz dessen, was sich im Taghellen auflöst, ohne doch je ganz zu verschwinden: Opazität, die notwendiger Teil der Schöpfung ist. Das prädestiniert sie dazu, Chiffre zu werden für alles dasjenige, was in den bestehenden Ordnungen nie vollständig aufgeht: das Ungesagte, Ausgeschlossene und Verborgene. Reste von Träumen und Alpträumen. Affekt, der sich in eckigen Begriffen nicht denken lässt. Wie nah kann man Dschinns also kommen? Wie nah sind sie uns? Und welche Schutzzeichen braucht es, um sicherzustellen, dass sie nicht von einem Besitz ergreifen?

Fatma Aydemir ist Schriftstellerin und Journalistin. Sie ist Autorin der beiden Romane Ellbogen (Hanser Verlag, 2017) und Dschinns (Hanser Verlag, 2022) und Co-Herausgeberin von Delfi. Gemeinsam mit Hengameh Yaghoobifarah gab sie 2019 den Essayband Eure Heimat ist unser Albtraum (Ullstein) heraus. Sie ist Kolumnistin der britischen Zeitung Guardian, Autorin des Theaterstücks Doktormutter Faust und kuratiert die Diskursreihe Materien am Schauspiel Essen.

Fabian Bernhardt ist promovierter Philosoph und Autor. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich Affective Societies der Freien Universität Berlin, schreibt regelmäßig für das Philosophie Magazin und andere Zeitschriften und gehört zu den Gründungsmitgliedern des Affect and Colonialism Web Lab. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört der Umgang mit schlimmen Vergangenheiten, Schuld, Unrecht und Gewalt. Nach einer 2014 veröffentlichten Monographie zur Frage der Vergebung erschien 2021 sein zweites Buch „Rache. Über einen blinden Fleck der Moderne“ (Matthes & Seitz), das mit einem Sachbuchpreis ausgezeichnet wurde.

Die Gesprächsreihe wird unterstützt vom SFB Affective Societies (Freie Universität Berlin).

April
11
Fr
  • 20:00
    Roter Salon

    UNTER UNS von Geistern, Dschinns und Monstern

    Fabian Bernhardt im Gespräch mit Fatma Aydemir
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