Salon für Text und Musik
SE – Sascha Ehlert
KH – Katharina Holzmann
SE: Es ist für mich gerade noch sehr unwirklich, dass wir uns hier am Anfang eines Buches befinden, das dreißig Ausgaben zusammenfassen soll. Was natürlich, das muss ich hier einmal loswerden, eh ganz und gar unmöglich ist. An diesem Ding, an Das Wetter, haben von 2013 bis 2023 ja bestimmt mehrere hundert Menschen mitgewirkt – und ich bin allen dankbar dafür, dass sie uns ihre kreative Energie und ihre Arbeitskraft anfangs gar nicht und mittlerweile dürftig bezahlten Bedingungen zur Verfügung gestellt haben. Ganz gleich, ob wir heute noch Kontakt haben oder nicht. Ich erinnere mich an alles: Die tollen Erfahrungen, aber, wie das immer so ist, auch an die eigenen Fehler, wo man Autor:innen mal mehr schlecht als recht betreuen konnte, weil man heillos damit überfordert war, gleichzeitig erwerbstätig und Magazin-schaffend tätig zu sein, die Wut, die Tränen – alles.
Um etwas konkreter auf deine Frage zu antworten: Selbstredend hätte ich, als ich an meiner Zeitschriftenidee saß, nicht gedacht, dass ein großer Verlag mal mit uns mal ein Buch machen würde. Aus heutiger Perspektive mag es naheliegend erscheinen, aber am Anfang des Wetters fühlte ich mich noch so weit weg von Leuten, die in solchen Verlagen arbeiten und noch mehr von der Vorstellung, etwas zu schaffen, das zehn Jahre hält. Umso schöner, dass wir nun bald dieses Buch vor unseren Augen haben, in dem in zahlreichen Texten unter anderem vom Vergehen der Zeit geschrieben und gesprochen wird und darüber, was bleibt und was geht. Das 2013 beginnt und sich bis ins Jahr 2023 tastet, mehrere Dutzend Menschen zu Wort kommen lässt und somit von Natur aus Differenz auslotet – obwohl es uns beim Wetter immer ein Anliegen war, jene Gemeinsamkeiten zu betonen, die es uns ermöglichen, beieinander zu bleiben und einander vielleicht sogar näher zu rücken. Es ist nicht so, als hätten wir so ein hochtrabendes Anliegen je formuliert, ein Wetter-Manifest gibt es allen anderslautenden Meinungen zum Trotz nämlich gar nicht. Was auch daran liegt, dass Das Wetter immer ein möglichst weit geöffnetes und dehnbares Gefäß sein sollte, in dem Emo und Analyse, Wut und Hass, Liebe und Zuneigung und ganz vieles mehr Platz hat. Was glaubst du denn eigentlich, was dieses Buch erzählt?
KH: Puh, das ist natürlich wieder eine weitreichende Frage. Gerade jetzt, da wir das Editorial schreiben, stecke ich wie eigentlich vor jeder Wetter-Druckabgabe viel zu tief drin, um das reflektieren zu können. Gerade macht mir eher Bauchschmerzen, was das Buch nicht erzählt. Wie du schon sagtest: Zehn Jahre lang viermal im Jahr eine Zeitschrift mit über hundert Seiten veröffentlichen, das sind eine Menge Menschen, die geschrieben, gestaltet, illustriert, fotografiert, Shirts designt, beim Heftversand mitgeholfen, aufgelegt, für nen Fuffi die Tür auf Partys gemacht, Kontakte hergestellt oder einfach irgendwas organisiert haben. Sehr oft waren das ja auch einfach Leute, die noch studiert haben oder ihre Kunst neben dem Broterwerb gemacht haben oder einfach Freund:innen, und teilweise ist man dann irgendwie zusammengewachsen – im beruflichen Sinne, aber halt auch in real life. Und ich hoffe, das Buch transportiert trotz der unzähligen Texte und Bilder und Anekdoten und Namen, für die schlichtweg einfach kein Platz war, was für eine Gemeinschaftsleistung dieses Magazin von Anfang an war. (Danke!)
Als ich mit der Arbeit an dem Buch hier begonnen habe, habe ich wie du wahrscheinlich auch die ganzen alten Ausgaben noch mal durchgeblättert. Das ist total verrückt, manche Texte sind wie kleine Zeitkapseln, andere total zeitlos und manche seltsam wahrgewordene Zukunftsprognosen. Und dazu diese Bild- und Textdichte, auch gestalterisch waren wir manchmal zurückhaltend, klassisch, schlicht und dann wieder völlig ballaballa.
Das macht mich alles schon ein bisschen stolz, aber das ist das seltsame an diesem Zu-tief-in-etwas-stecken-Modus: Man merkt sich mittendrin meistens nur die Sachen, die nicht geklappt haben oder die man vergeigt hat. Da hat sich bestimmt auch ein kleines Häufchen angesammelt. Aber um zurück zu deiner Frage zu kommen: Eigentlich hoffe ich nur, dass dieses Buch von der Kunst und von der Sprache und der Zeit erzählt, möglichst direkt und für alle zugänglich. Halt ein Buch für Text und Musik.
Auf jeden Fall wünsche ich mir gerade, dass wir demnächst noch mal völlig frei drehen und noch mal was ganz anderes aus dem Wetter rausholen. Wir werden sehen. Wird es jemals enden?
Berlin, 28. Juni 2023
- 20:00Roter Salon
Salon für Text und Musik
10 Jahre Das Wetter • Mit: Zeynep Bozbay, Charlotte Krafft, Leonhard Hieronymi, Katharina Holzmann & Sascha EhlertLesung