

SAINT FLESH
In erster Linie regt Kampfsport meine Fantasie an – und das auf eine Art, die mich als Performance-Künstlerin sehr beeinflusst. Kick/boxen ist nicht möglich ohne Partner:in, die Zusammenarbeit ist teilweise sehr intim und gleichzeitig kämpft man immer auch gegeneinander. Dadurch wird das Training zu einem Raum, in dem Fürsorge und Konkurrenz gleichzeitig existieren können. Diese Mischung fasziniert mich, weil sie eine Klarheit schafft, die Ambivalenz nicht ausschließt – eine Qualität, die ich mir in anderen Kontexten oft wünsche.
Seit ich Kampfsport betreibe, ist er mit meiner Kunst verbunden. Weil ich als Kind nie in Sportvereinen war, habe ich mir diese Welt erst als Erwachsene erschlossen – ein Blick von außen, der meine Wahrnehmung prägt. Neben dem Raum des Trainings war Angst ein großes Thema für mich – nicht nur in Bezug auf die Notwendigkeit, sich selbst verteidigen zu können, sondern auch auf die Auseinandersetzung damit in meiner Kunst. Ich habe mich gefragt: Was passiert, wenn wir Angst nicht als Furcht vor dem Anderen sehen, sondern als Fürsorge für den eigenen Erhalt? Kampfsport kann meiner Meinung nach helfen, Angst zu strukturieren: durch klare Regeln, durch den abgetrennten Raum des Kampfes, in dem Brutalität und Aggressivität existieren können, ohne moralisch bewertet zu werden. Daraus ist letztendlich die Performance Fighting 4 Fear in Kooperation mit dem Ballhaus Ost entstanden – zusammen mit Klara Kirsch und Enrico Bordieri.
Mittlerweile interessiert mich vor allem die Situation der Kampfsimulation oder Sparring. Elsa Dorlin beschreibt Selbstverteidigung als eine Form von Widerstand für Körper, denen gesellschaftlich oft keine Handlungsmacht zugeschrieben wird. In diesem Sinne wird Aggression zu einem lebensbejahenden Instrument. Kampfsport lehrt, Gefahren realistisch einzuschätzen, klar auf sie zu reagieren und gleichzeitig das Gegenüber als vollwertige Person zu respektieren. Ein Kampf ist keine bloße Gewalt, sondern ein kontrolliertes System, in dem auch Unterlegenheit nicht zur Unterdrückung führen darf.
Genau darum geht es mir: Kampfsport als Haltung zu verstehen. Eine Haltung, die Aggression nicht als Kontrollverlust, sondern als Strukturierung von Gewalt begreift. In einer Gesellschaft, die sich zunehmend nach rechts bewegt – in der rechte Mobs wehrlose Körper attackieren, während gleichzeitig querdenkende Stimmen mit passiv-aggressiven, simplifizierenden Friedensappellen laut werden – möchte ich ein anderes Körperbild entgegenstellen. Einen Körper, der Ambivalenz aushält, überlegt handelt, sich nicht naiv friedlich gibt, sondern Strategien entwickelt, um mit einer sich verändernden Welt umzugehen. Diese Möglichkeit bietet mir der Kampfsport – nicht nur persönlich, sondern auch künstlerisch.
Milena Bühring (1994 in Berlin) hat 2022 ihren Meisterschüler:innentitel an der UdK Berlin absolviert. Seitdem arbeitet sie als freischaffende Künstlerin und Performerin. Ihre Arbeit war unter anderem Teil der BAROCKTAGE der Staatsoper Unter den Linden NEVER LOOK BACK – ein „Orpheus-Festival“ (2020), der Gruppenausstellung Won’t you get your big machine (2023) im Spoiler, des digitalen Magazins für Kunst in Theorie und Praxis frame[less] zu dem Thema #5 ICONS und wurde 2023 mit dem Rotraut Pape Inspiration Award im Rahmen der B3 Biennial of the Moving Image in Frankfurt a.M. ausgezeichnet. Im Oktober 2023 war sie Teil des BUDA Residenzprogramms in Kortrijk, Belgien. Auch die Kuration und Organisation von kollektiven Projekten ist Teil ihrer künstlerischen Arbeit. Im Sommer 2023 brachte sie gemeinsam mit Klara Kirsch und Anna Hofmann im ehemaligen City Casino am Alexanderplatz den Performance Abend Casino Real zur Aufführung. Im Juni 2024 wurde ihre erste eigene Produktion in Zusammenarbeit mit Klara Kirsch und Enrico Bordieri Fighting 4 Fear am Ballhaus Ost gezeigt.
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- 20:00Roter Salon
SAINT FLESH
Gast: Milena Bühring | präsentiert von Duygu Ağal und Ricarda Hillermann | Sport Studio